BÖZBERG

BÖZBERG

Ein Schweizer-Land-Krimi. Seit dem 1. November 2023 monatlich 1 Kapitel.

Von Stephan M. Porchet-Pagnoncini 

KAPITEL 2 - METZGERSWERK

KAPITEL 2 - METZGERSWERK

Mittlerweile stand der vierte Kaffee auf Kurt Häusermanns Schreibtisch in seinem Büro in Brugg. Er stützte seinen dröhnenden Kopf mit beiden Händen fest auf der Tischplatte ab und schaute aus dem Fenster. Nebel. Seine Augen erfassten ein paar wenige Dinge und sprangen hin und her. Baumwipfel. Hausdach. Elster. Schienen. Und wieder zurück. Weiter als zwanzig, dreissig Meter konnte er nicht sehen. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Er griff zum Hörer und zog das verdrehte Spiralkabel über den Tisch. Dabei stiess er an den halbvollen Kaffeebecher. Er fiel um und ergoss sich über herumliegende Akten. «Scheisse, Scheisse, Scheisse», fluchte Häusermann wie ein Rohrspatz. Er konnte sich in letzter Sekunde in Sicherheit bringen, ehe die helle Brühe vom Tisch und beinahe auf seine Hose tropfte. «Hallo? Hallo?», fragte die weibliche Stimme am anderen Ende. Kurt griff sich den auf dem Tisch liegenden Hörer. «Ja», knurrte er in die Muschel. Barbara Stocker, die Rechtsmedizinerin am anderen Ende, musste sich das Lachen verkneifen. «Kurt», sagte sie ruhig, «ich habe Neuigkeiten für euch. Kommt doch mal zu mir runter.» «Wenn Joris mal kommen würde, dann, okay?» Er knallte den Hörer auf die Station zurück und holte sich auf der Toilette einen Stapel Papiertücher. Er knallte die Bürotür mit dem linken Fuss zu und begann auf seinem Tisch den Kaffee aufzutupfen und die Dokumente zu trocknen. Sein Schädel brummte. «Idiot, Scheiss Schnaps», sagte er zu sich selbst und tupfte weiter. Er öffnete die oberste Schublade und griff zu einer Kopfschmerztablette. Er steckte sie sich in den Mund, griff zur Wasserflasche am Boden und nahm einen grossen Schluck. In diesem Moment ging die Türe auf und Joris Janssen betrat, sichtlich gut gelaunt, das Büro. «Einen wunderschönen, guten Morgen», flötete er in Kurts Richtung. Häusermann kniff beim Schlucken der Tablette die Augen zusammen und meinte schnoddrig: «Na Joris, eine kurze Nacht gehabt? Schön, dass du’s richten konntest. Wir müssen nachher zu deiner Freundin. Es gibt News.» Ohne Joris weiter zu beachten, tupfte er weiter Kaffee auf, während sein Kompagnon zur Kaffeemaschine auf dem Flur ging, um sich einen Latte Macchiato zu holen. Mit extra viel Zucker.

 

«Und, wo warst du so lange?», fragte Kurt Häusermann Joris Janssen, als dieser zurückkam. «Privatsache», antwortete dieser prompt und weiter: «Geht dich überhaupt gar nichts an.» Häusermann schüttelte den Kopf, bückte sich zum Papierkorb und schickte ein «ah, so» hinterher. Janssen startete seinen Rechner und loggte sich in das interne Netzwerk ein, während Kurt die Akten auf seinem Tisch wieder ordnete. «Können wir gehen?», fragte er fordernd seinen Kollegen. «Wir können.» Sie standen auf, gingen durch die Türe, Janssen zog sie hinter sich zu und liefen durch den Flur zum Fahrstuhl. Häusermann drückte den abwärts Knopf. Er neigte seinen Kopf nach hinten und beobachtete die regelmässig aufleuchtenden Zahlen. Zwei, Drei, Vier, Fünf. Ein «Ping» und die Türen öffneten sich. Sie traten ein. «Wurde wohl feucht-fröhlich gestern», stellte Janssen, welcher mit dem Rücken zur Lifttür stand, fest und schnupperte mit der Nase in der Luft. «Halt die Klappe», muffelte Häusermann. «Es war rein dienstlich.» «Ping!» Ruckelnd bewegten sich die Türen zur Seite. Auf der Anzeige stand «-1». Die kaltweissen LED-Neonlichter spendeten ein scharfes, klares Licht. Der grünlich schimmernde, auf Hochglanz polierte, Linoleumboden spiegelte das Licht von unten zurück. Es roch nach Formaldehyd. Auf dem Flur standen metallene Rollwagen und leere Polizeisärge. Janssen war freudig erregt, während Häusermann mit seinem offenen Trenchcoat vor ihm her ging. Sie kamen zu einer doppelten Schwingtüre mit runden Glasfenstern. Darüber stand «FORENSIK». Kurt klopfte und stiess den rechten Flügel auf. Joris öffnete den Linken. Die Fricktaler Rechtsmedizinerin stand bei einer der drei, am vergangenen Abend, gefundenen Leichen. «Und?», fragte Kurt Häusermann. «Guten Morgen erstmal», sagte, in einem weissen Overall arbeitende, Stocker. «Schönen guten Morgen, Barbara», flötete Joris Janssen fröhlich. Häusermann drehte sich zu seinem Partner und rollte mit den Augen. Janssen grinste noch mehr. «Nun, meine Herren», begann sie und faltete das grüne Tuch, welches auf dem Autopsie Tisch lag, vorsichtig zur Seite. Fein säuberlich lagen von der Cheisacherturm-Leiche die Körperteile vor ihnen. Kopf, Torso, Beine und Arme. Angeordnet wie ein Mensch. «Hier», sie deutete auf die Stellen wo die Gliedmassen vom Körper abgetrennt wurden und fuhr fort: «Eindeutig professionell durchgeführt.» «Aha», bemerkte Joris Janssen. «Interessant» murmelte Häusermann, der mit einem Vergrösserungsglas die Schnitte begutachtete. «Des weiteren wurden die Leichen alle in blutleerem Zustand platziert. An keinem der drei Tatorte wurde auch nur ein einziger Tropfen Blut gefunden." «Spannend» war das einzige Wort, welches Häusermann sagte. Janssen himmelte unter seinem Mundschutz Barbara Stocker an. Doch diese bemerkte die visuellen Annoncen des Polizisten nicht. «Muss wohl ein Chirurg oder Metzger sein, euer Täter», fuhr sie fort.

 

Kurt Häusermann blickt auf, schob seine Maske unters Kinn und schaute Stocker fragend an. «Tät..er? Nicht Tät..sie?», fragte er bewusst provokativ. Die Forensikerin grinste und schüttelte den Kopf. «Nicht bei diesen drei Opfern. Schaut.» Sie ging zum Obduktionstisch nebenan, schob wieder behutsam das grüne Tuch beiseite und präsentierte das Opfer, welches in der Höhle gefunden wurde. Die beiden Polizisten trotteten ihr nach, wobei Häusermann auffiel, dass sein Partner nicht richtig bei der Sache war. Er räusperte sich und gab Janssen mit seinem Kopf ein Zeichen, er solle gefälligst hinschauen. «Dieser wunderschöne Längsschnitt über den gesamten Torso und genau in der Mitte der Wirbelsäule die Knochen splitterfrei zersägt, das ist Können und Kraft.» Sie schien entzückt zu sein, von der Arbeit des Mörders. Häusermann empfand Eckel. Joris griff zu einem Paar Silikonhandschuhen, stülpte sie sich über und fuhr mit dem Mittel- und Zeigefinger über die Schnittstellen. «Saubere Arbeit», bestätigte er. «Bandsäge», sagte Stocker. «Bandsäge?», fragte Häusermann sichtlich schockiert. «Ich bin gerade am Testen von Gewebeproben und gehe in meiner Analyse sogar noch einen Schritt weiter. Die Opfer wurden im tiefgefrorenen Zustand bearbeitet und vorher wie ein Stück Vieh ausgeblutet.» Häusermann schluckte leer und meinte: «Wie im Film.» «Du sagst es Kurt», entgegnete sie, während Joris ungeduldig auf und ab lief. «Und Nummer Drei?», fragte er aufgeregt. «Langsam Joris», sagte Barbara. Sie deckte Leiche eins und zwei wieder mit den Tüchern zu und klappte bei Tisch drei den Leinenstoff beiseite. Der Tote hatte bereits durch die Arbeit von Stocker seinen Brustkorb bis und mit Bauchdecke geöffnet. «Dieser hier wurde ausgeweidet. Vom Hals bis zum Darm.» Sie stockte und musste kurz durchatmen. Häusermann wurde beim Anblick schlecht und musste den Brechreiz unterdrücken. Er griff zur Menthol Paste, welche auf dem Arbeitstisch lag, und schmierte sich zwei dicke Linien unter die Nase, damit er den Leichengeruch und den von Formaldehyd überdecken konnte. Janssen schaute fasziniert dem Toten in den geöffneten Körper und wollte gerade mit seinen Gummihandschuhen hineingreifen. «Nicht anfassen», fauchte Stocker. Janssen zog seine Hand blitzartig zurück und schaute verlegen zu Barbara. «Nun» fuhr sie fort, «der Täter hat sich die Mühe gemacht den Darm, oder besser gesagt einen Teil des Dickdarms, als Schlauch zu verwenden. Und zwar von der Speiseröhre bis zum Anus. Deshalb konnte das Wasser auch durch den Körper hindurchfliessen wie ein Wasserspeier.» Sie zeigte mit einem Kugelschreiber auf eine Partie unterhalb des oberen Brustbeins und hob den herumliegenden Darm im Körper damit an. Häusermann hatte genug gesehen. «Ok, machst du bitte einen ausführlichen Bericht. Danke.» Er wandte sich vom Tisch weg und schaute auf die Uhr an der gekachelten Wand. Zehn Uhr Dreiundfünfzig. Der Sekundenzeiger tickte laut vor sich hin. Nach dreissig Sekunden absoluter Stille drehte er sich wieder um und sagte: «Weiss man schon etwas über die Identität der drei Toten?» Sie schüttelte den Kopf. «DNA-Profile und Zahnabdrücke wurden genommen, da weiss ich heute Nachmittag mehr. Keine Vermissten?» «Keine konkreten Meldungen, aber wir werden das gleich nachher mit der Abteilung nochmals vertieft überprüfen. Danke einstweilen.» Er nickte in ihre Richtung, sie nickte zurück. Janssen, welcher immer noch verzückt den Toten begutachtete, verabschiedete sich mit einem säuselnden «ciao Barbara, bis bald» und lief durch die Schwingtüre zurück auf den Flur. Stocker schaute den Beiden nach und als die Türe sich wieder auspendelt hatte, schüttelte sie den Kopf. Das Verhalten beider Kommissare entsprach so gar nicht dem sonstigen Benehmen. Dann machte sie sich wieder an die Arbeit und setzte sich zurück ans Mikroskop.

 

«Halt dich etwas zurück mit deinem Charme», sagte Häusermann zu Janssen, während sie in den Fahrstuhl einstiegen. Kurt drückte die Zwei. Joris zog sich die Maske aus dem Gesicht und grinste. Häusermann schüttelte den Kopf. «Meinst du, das waren alle?», fragte er, auf die Knöpfe starrend. Janssen schaute in seine Richtung und schaute ihn mit steinerner Miene an. «Nein, das glaube ich nicht.» «Hmmm, dann müssen wir einen Zacken zulegen.» «Ping.» Die Türen öffneten sich. Es herrschte, im Gegensatz zum ersten Untergeschoss, emsiges Treiben auf der Etage. Häusermann eilte voraus, Janssen trottete hinterher. Vor der dritten Türe rechts stoppten sie. «Walter Eggenberger, Leiter Personensuche», stand auf dem Schild. Kurt klopfte und trat ein. «Walter, altes Haus, wie geht es dir?», platzte er ins Büro. Eggenberger lugte über seine Lesebrille zu den beiden Ermittlern. «Kurt, welch Glanz in meiner Hütte», begrüsste er den kauzigen Polizeikommissar. Er nickte Joris freundlich zu und deutete mit der rechten Hand auf die beiden Sessel vor seinem Schreibtisch. «Danke», sagte Häusermann und liess sich in den Linken plumpsen. Janssen setzte sich adrett auf den anderen Stuhl. «Nun, der Flurfunk funktioniert bestens bei uns, ich dachte mir schon, dass ihr bei mir vorbeischaut.» Kurt lächelte ihn müde an: «Du bist und bleibst der Beste, Walti. Also, erzähl mal, hast du etwas für uns, etwas, was uns weiterbringt?» Häusermann hoffte inständig, dass Eggenberger ihnen irgendeinen Anhaltspunkt geben könnte. Dieser griff in ein Ablagefach links von seinem Schreibtisch und fingerte einen Umschlag hervor. «Hier, bitte schön, könnte euch vielleicht weiterhelfen, so nach den ersten Beschreibungen der schönen Forensikerin.» Er schaute zu Joris und zwinkerte ihm zu. Es war hinlänglich intern bekannt, dass der vierzigjährige Polizist auf die Fricktaler Forensikerin stand. Janssen errötete und schaute beschämt zu Boden. Häusermann griff sich das Couvert, öffnete es und nahm die darin enthaltenen Unterlagen hervor. «Drei, als vermisst gemeldete Aargauer Weinbauern. Einmal Gansingen vor fünf, einmal Effingen vor sechs und einmal Zeihen vor sieben Tagen.» «Und warum wussten wir das gestern Abend noch nicht?», fragte Janssen in die Runde. Eggenberger legte seine Lesebrille vorsichtig auf den Schreibtisch und faltete die Hände. «Weil die Sache bis gestern intern unter Verschluss war.» Er schaute zu Kurt, welcher die Fotos studierte. «Weiss die Forensik schon Bescheid?» «Jetzt», antwortete Walter, griff zum Telefon und wählte die interne Nummer der Rechtsmedizin. «Barbara, Walter hier, ich schicke dir gleich was per Mail, könnte nützlich sein für dich. Okay?» Sie bestätigte, er sagte noch «Tschüss» und legte auf. «Hmmm», sagte typischerweise Häusermann. «Weinbauern sagst du. Dann hat da wohl jemand ein Problem mit Alkohol oder Wein.» Eggenberger schaute ihn verdutzt an. «Heisst?», fragte er Kurt. «Ich frage mich, warum sie dann alle eine Karotte im Mund stecken hatten», entgegnete er und stand auf. «Komm Joris, wir haben genug Anhaltspunkte, los, los.»

 

Häusermann streckte Walter die Hand über den Tisch, dieser entgegnete den Handschlag. «Danke, Walti, wir sollten wieder mal essen gehen. Die Betriebskantine muss gut sein.» Häusermann lächelte süffisant und schubste Janssen Richtung Türe, öffnete diese, drehte nochmals den Kopf und sagte: «Ciao. Und keine Presse.» Eggenberger musste schmunzeln und schüttelte den Kopf, griff zu seiner Lesebrille und setzte sich diese wieder auf die Nase. «Zum Raumschiff», sagte Kurt zu Joris und lief schnurstracks zum Lift. «Trauben-Krieg im Rüebli Land», konsternierte Häusermann im Lift und lachte über sich selbst und grinste in Janssens Richtung. Dieser schaute mit versteinerter Miene an die Lifttür. «Na Joris, in Gedanken bei Babs?» Er versuchte ihn zu stupsen, aber er wich aus. «Oh, oh, da hat wohl Einer gute Laune, was?» «Ping», die Türen öffneten und sie traten ins Foyer des Polizeigebäudes. Häusermann schritt eilig voraus, Janssen hinterher. Er öffnete bereits per Fernbedienung die Türen seines «Pole Star», Kurt hockte sich auf den Beifahrersitz. Joris setzte sich ans Steuer. «Wohin?», fragte er. «Gansingen, Weingut Erdin, Liechthof 100.» Janssen tippte auf dem Display die Adresse ein, sie schnallten sich an und das Elektroauto rollte geräuschlos vom Parkplatz. Sie schwiegen sich während der fünfundzwanzigminütigen Fahrt an. Kein Ton, keine Bemerkung. Nichts. Stille. Wieder lag Nebel über dem Bözberg. Die Novemberschwere lag über der Landschaft. Grau in Grau. Häusermann hasste diese Zeit. Vor einem Jahr trag er seine Frau zu Grabe. Auch bei dieser Stimmung. Es schlug im aufs Gemüt. Und jetzt eine Mordsserie, wie es sie im Aargau noch nie gegeben hat. Er erschrak, als sein Handy in seiner Hand vibrierte. Jäh wurde er aus seinen Tagträumen gerissen. Er schaute aufs Display. «Neue Sprachnachricht» stand da. Er öffnete das Programm, drückte auf Play und hielt sich das Telefon ans Ohr. Es war eine Information von Barbara Stocker, dass die drei vermissten Weinbauern identifiziert werden konnten. Mit «schneller als gedacht» und «machts gut» beendete sie die Nachricht. «Hmmmm», grummelte er während Janssen das Fahrzeug parkte. Er blickte zu seinem Beifahrer und sagte: «So, hier wären wir.» «Okay», entgegnete Kurt und ergänzte: «Identitäten sind bestätigt.» Sie stiegen aus und liefen auf das herrschaftliche Bauernhaus, mitten in den Rebbergen der Region Geissberg, zu. Die Trauben waren bereits abgelesen, gepresst und der Traubensaft in den Gärtanks. Die Weinbauern hoffen auf ein gutes Resultat, denn es war ein gutes Weinjahr. Es war ruhig, auf dem Liechthof vom Weingut Erdin. Einzig das Surren der Klimaanlage der Weinlager war zu hören. Häusermann klingelte, Janssen postierte sich hinter ihm. Er drückte den Knopf erneut. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete eine, nicht unattraktive, Frau mittleren Alters die Türe. «Guten Mittag, Frau Erdin», eröffnete Kurt das Gespräch und hielt ihr den Dienstausweis unter die Nase und fuhr fort: «Kurt Häusermann und das ist mein Kollege Joris Janssen von der Aargauer Kantonspolizei. Dürfen wir hereinkommen?» Die Frau nickte und machte eine Geste mit der rechten Hand, die Polizisten mögen eintreten. Sie schloss die Türe hinter ihnen zu, überholte die Beiden im Flur und lief voraus in das Wohnzimmer des Fachwerkhauses. «Bitte.» Wieder machte sie eine Handbewegung.

 

Die Ermittler setzten sich aufs Sofa. «Kaffee?», fragte die Weinbäuerin. «Keine Umstände wegen uns», sagte Kurt Häusermann und Janssen doppelte nach: «Gerne.» Die Frau verschwand in der Küche. Kurt schaute Joris vorwurfsvoll an, dann zupfte er seine Kleidung zurecht und schaute sich um. An der Wand tickte eine antike, gold-schwarze Neuenburger Pendule. Kurt musste kurz schmunzeln, denn bei ihm zu Hause in Linn stand das gleiche Modell. Allerdings in rot-gold. Sie hörten, wie die Kaffeemaschine den Kaffee zubereitete. Das Mahlwerk röhrte. Angespannt sassen sie auf dem Sofa, denn sowohl Joris wie auch Kurt wussten was jetzt dann gleich passieren würde, wenn sie die traurige Nachricht vom Tode ihres Mannes überbringen mussten. Janssen sass kerzengerade auf dem Sofa, Kurt hatte sich zurückgelehnt und die Beine überkreuzt. Frau Erdin kam mit einem silbernen Tablett und drei Tassen Kaffee zurück. Galant verteilte sie die Tassen auf dem Sofatisch und stellte Milch in einem Kännchen und Zucker in einem gläsernen Streuer vorsichtig dazu. Dann setzte sie sich in den, vom Sofa gegenüber liegenden, Fauteuil, goss sich einen Schluck Milch in den Kaffee, nahm einen Löffel Zucker, lehnte sich zurück und hielt mit der linken Hand den Unterteller und mit der Rechten die Tasse. «Nun, meine Herren, haben sie Neuigkeiten zum Verbleib meines Mannes?», fragte sie spitz. Während Janssen noch mit der Zubereitung des Kaffees beschäftigt war, hatte Häusermann bereits einen ersten, grossen Schluck genommen. Er hüstelte und stellte die Tasse wieder zurück auf den Unterteller auf dem Tisch. «Nun» begann er besonnen und versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. «Nun, Frau Erdin, wir haben leider keine sehr guten Informationen. Ihr Mann wurde gestern Abend beim Cheisacherturm aufgefunden.» Kurt versuchte so Nachricht so vorsichtig wie möglich zu überbringen. Janssen nahm einen Schluck Kaffee. «Und?», fragte die Frau des Ermordeten gespannt. «Und leider müssen wir ihnen mitteilen, dass ihr Mann Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist.» Häusermann schwieg, machte eine Pause und schaute ins Gesicht von Frau Erdin. Die erwartete Reaktion blieb aus. Er meinte sogar gesehen zu haben, dass sich die Augen kurz erhellten. «Karma. Endlich», sagte sie trocken und ohne mit der Wimper zu zucken. Kurt schaute kurz zu Joris und gab ihm mit der linken Hand ein kleines Zeichen nichts zu tun oder zu sagen. Es herrschte für einen Moment eine kurze, drückende Stille. Sie durchbrach sie als erstes. «Wie?», wollte sie wissen. Sie nippte an der Kaffeetasse. Janssen ergriff das Wort. «Leider können wir im Zuge der laufenden Ermittlungen keine Auskünfte…» «Wie?», fauchte sie und knallte die halbvolle Tasse auf den Salontisch. Die Porzellantasse zerbarst beim Aufprall in drei gleichgrosse Teile und der Kaffee ergoss sich über die herumliegenden Tageszeitungen und Illustrierten. «Wie? Sag es mir. Los. Sag es mir, ich will es wissen. Wie ist das Schwein gestorben. Los.» Sie brauste auf und sprang über den Sofatisch und griff sich Joris Janssen mit beiden Händen. Sie zog ihn zu sich und war ausser sich.

 

Der gebürtige Schweiz-Holländer wusste nicht wie ihm geschah. So schnell ging alles. Wie eine Furie begann sie mit den Fäusten auf den Polizisten einzuhämmern und schrie: «Los. Sag es mir. Jetzt.» Häusermann musste etwas unternehmen und ging dazwischen. Doch die Weinbäuerin, welche allem Anschein nach ziemlich muskulös und kräftig war, gab ihm mit der linken Hand eine saftige Ohrfeige. Kurt taumelte zurück aufs Sofa, erhob sich aber gleich wieder und griff nach hinten an seinen Rücken und zückte Handschellen hervor. Die Frau lag nun auf Janssen, während sich dieser seine Arme schützend vor sein Gesicht hielt. «Sag es mir», brüllte Anita Erdin weiter auf ihn ein. Häusermann suchte sich einen guten Stand und griff im richtigen Moment zuerst die linke Hand, klickte die Handschellen ein und verdrehte ihr den Arm auf den Rücken. Sie schrie auf. «Du Schwein, lass mich los.» Doch Kurt dachte nicht daran und schnappte sich auch ihren rechten Arm. «Klick» und die Hände von ihr waren auf dem Rücken fixiert. Sie lag noch immer auf Joris. Als Häusermann die Frau hochziehen wollte, biss sie Janssen in den Arm. Dieser jaulte auf. Nun konnte er nicht anders und verpasste der Frau ebenfalls eine Ohrfeige. Sie liess ab, Kurt zog sie hoch und hievte sie aufrecht sitzend aufs Sofa. Janssen krabbelte von ihr weg und hielt sich mit der rechten Hand den Biss am linken Unterarm. «Fertig jetzt», sagte Häusermann mit fester Stimme. «Was soll der Scheiss? Wollen sie festgenommen werden?» Sie grinste ihn an. «Gut ist das blöde Schwein tot. Ich hoffe er musste so richtig leiden.» «Gibt es Eis im Haus», fragte Joris. «Im Gefrierfach in der Küche», sagte sie verachtend. Janssen ging in die Küche, um Eis zu holen, während Häusermann langsam aber sicher stinksauer wurde und sagte: «Was sie da sagen, Frau Erdin, belastet sie. Warum soll es gut sein, dass ihr Mann tot ist?» «Das geht dich gar nichts an», blöder Bulle. «Als ich euch gebraucht hätte, wo wart ihr denn? Hä?» Sie versuchte die Handschellen abzustreifen. Häusermann sass in sicherer Entfernung. «Joris», rief er in die Küche, «wir nehmen die Dame mit nach Brugg. Dann kann sie in aller Ruhe eine Aussage machen.» «Okay», rief sein Kollege aus der Küche. «Das darfst du gar nicht, mich einfach mitnehmen ohne Haftbefehl», fauchte sie. «Doch, und ob ich das darf.» Er packte die Frau, zog sie auf die Beine hoch und bugsierte sie Richtung Flur. «Kommst du Joris?», rief er über die Schulter zurück. «Ja, gleich», kam es aus der Küche. Häusermann öffnete die Tür und begleitete Anita Erdin zum Wagen. Janssen kam aus dem Haus gestürmt, öffnete das Auto, ging direkt zum Kofferraum, öffnete diesen kurz und schloss diesen mit einem Knall wieder zu. Er stieg ein, wartete, bis Häusermann den Gast auf der Rückbank angeschnallt hatte und eingestiegen war, und rollte vom Hof. Er schaute nach rechts: «Brugg, nehme ich an?» Kurt nickte.

zurück zur Übersicht