BÖZBERG

BÖZBERG

 

Ein Schweizer-Land-Krimi. Seit dem 1. November 2023 monatlich 1 Kapitel.

Von Stephan M. Porchet-Pagnoncini 

KAPITEL 3 - SIEBEN

KAPITEL 3 - SIEBEN

«Untersuchungshaft», sagte Kurt Häusermann dem Kollegen als er Anita Erdin in Brugg übergab. «Grund?», fragte der Beamte in Uniform. «Beamtenbeleidigung und tätliche Angriffe auf Polizisten im Dienst», entgegnete Kurt. «Stimmt gar nicht», kläffte die Frau hinter ihm her, als er die Abteilung wieder verliess. Häusermann drehte sich um und zeigte ihr den Vogel, schaute den Uniformierten an und machte eine Geste, als wolle er ihm sagen: «Siehst du, ich habe es dir ja gesagt.» Er begab sich wieder auf den Parkplatz vor die Polizeiwache im Wildischachen und wartete an der Stromtankstelle auf seinen Kompagnon. Janssen wollte in der Zwischenzeit, während Häusermann die wild gewordene Weinbäuerin übergab, auf die Toilette. Kurz vor Brugg hatte Joris ihm verkündet er hätte Magenkrämpfe. Kurt lehnte am Pole Star mit einem Pappbecher und nippte an seiner heissen Schokolade aus dem Automaten, welche er sich im Eingangsbereich herausgelassen hatte. Stirnrunzelnd versuchte er sich die Reaktion von Anita Erdin zusammenzureimen, konnte momentan aber keine Erklärung dafür finden, was sie derart in Rage gebracht und warum sie so reagiert hatte. Er leerte den Inhalt des Bechers in einem Zug und lief auf den Papierkorb neben dem Eingang zu, als Janssen aus dem Gebäude kam. «Na, besser?», fragte Kurt. «Viel», entgegnete Joris erleichtert. «Na dann kann es ja weiter gehen.» Häusermann konnte sich das Grinsen nicht verkneifen und hätte am liebsten einen dummen Spruch gemacht, liess es aber wohlweislich bleiben. Denn er spürte, dass die Laune seines Begleiters nicht die allerbeste war. Sie stiegen erneut in Janssens Wagen und fuhren los. «Das war aber eine lange Sitzung», begann Kurt das Gespräch mit etwas Smalltalk. «Ich war noch bei der Sanität», entgegnete Joris. «Und? Schlimm?», fragte sein Beifahrer. «Es geht. Desinfiziert und verbunden. Blöde Kuh.» Janssen tippte am Rotlicht in der Stadt die Adresse des nächsten Weinbauern ein. Weizäcker Zeihen. Geräuschlos rollte das Elektroauto weiter. Häusermann beobachtete das Treiben am Bahnhof Brugg und entgegnete: «Ich verstehe einfach nicht, was die Frau derart in Rage gebracht hat. Da war Hass. Viel Hass gegenüber ihrem Mann. Aber ich kann mir beim besten Willen noch keinen Reim machen.» «Keine Ahnung», meinte Joris kleinlaut und hielt sich die Bisswunde. «Ich muss sie vernehmen», murmelte Kurt. Janssen drehte die Musik leiser, blickte zu seinem Beifahrer und schaute in fragend an: «Was sagst du?» «Dass ich sie vernehmen muss. Heute noch, denn wir haben nichts in der Hand gegen sie, ausser die verbalen und tätlichen Angriffe. Und du weisst, wie die Presseabteilung auf solche Festnahmen reagiert und alles erdenklich Mögliche unternimmt, um das Ansehen der Polizei nicht zu gefährden.» «Ja, ist mir bekannt», kam es vom Fahrer trocken. «Also muss sie heute noch befragt werden.» Kurt schwieg und beobachtete, wie sie auf dem Bözberg in den tiefhängenden Nebel fuhren. Wohnung suchen, dachte er sich, schaute zu seinem Chauffeur, beobachtete ihn und sagte: «Sag mal Joris, so irgendwie bist du nicht bei dir selbst. Du bekundest offensichtliches Desinteresse an diesem Fall.» Er fixierte seinen Blick wieder auf die Strasse und verfolgte mit den Augen den an ihnen vorüberziehenden Wegweiser nach Linn. Er wäre jetzt lieber zu Hause, aber dieser Fall erregte nochmals seine ganze Aufmerksamkeit und weckte seinen alten Ermittler Instinkt. Janssen schüttelte den Kopf und meinte lapidar: «Das meinst du doch nur, Kurt. Nein, nein, alles gut. Ich habe ein paar private Probleme, welche mir im Kopf herumschwirren. Aber alles gut.» Häusermann zog seine linke Augenbraue hoch. Er kannte Janssen lange genug, um zu wissen, dass diese Aussage mehr als nur stank. Er beliess es dabei und bohrte nicht mehr weiter. Schon bogen sie in der Ortsmitte von Effingen in Richtung Zeihen ab, als sein Handy klingelte. «WALTI EGGENBERGER» stand auf dem Display. Kurt swipte mit dem Zeigefinger und nahm das Gespräch an. «Walti, hast du Sehnsucht?», witzelte er. «Mir ist nicht nach Lachen», sagte die Stimme am anderen Ende. «Dann erzähl», ermunterte der Kommissar. «Bist du alleine?», fragte Walter. «Jein. Moment.» Häusermann drückte auf der Seite seines iPhones die Lautstärke auf den unteren Drittel zurück und hielt sein Telefon wieder ans Ohr. «Jetzt stimmt deine Frage», gab er zur Kenntnis. «Also, schiess los», ermunterte er den Anrufer. «Nun» zögerte Eggenberger, nahm einen Schluck von seinem Tee, setzte die Tasse ab und fuhr fort: «Wir müssen von vier weiteren Opfern ausgehen!» «Was? Was sagst du da?» fuhr Kurt forsch dazwischen. «Ja, wir haben seid ihr weg gegangen seid nochmals alles auf den Kopf gestellt. Und, da wir zuerst an einen komischen Fehler oder Zufall gedacht haben, haben wir die Meldungen über die Vermissten etwas beiseitegeschoben.» «Nicht wahr, oder?», fragte Kurt verblüfft. Janssen schaute interessiert zu seinem Beifahrer. Dieser machte mit der linken Hand eine Bewegung, er solle auf die Strasse schauen. Joris fuhr weiter. Am Abzweiger zur SBB Station Effingen bog er rechts ab. Die ersten Häuser von Zeihen waren zu sehen. «Ja, und weiter?» interessierte sich Häusermann. «Da die vier Vermissten von ein und derselben Person gemeldet wurden, nahmen wir an, dass das so ein Polterabend Scherz sein könnte. Du weisst ja…!» Er nahm wieder einen Schluck Tee. «Nun bring es auf den Punkt Walter», drängelte Häusermann. «Vorhin dann von vier Ehefrauen die Anrufe. Vier, Kurt. Aus Schinznach, Hornussen, Remigen und Villnachern. Und jetzt, halt dich fest…!» Weiter kam er nicht, Kurt fiel ihm ins Wort: «Allesamt Weinbauern. Stimmts? Wurde jemand gefunden? Bis jetzt? Du weisst schon…» fragte der Ermittler nervös. «Bis jetzt nicht. Sag mal bist du Hellseher? Ich lege dir die Akten auf deinen Tisch.» Eggenberger war verdutzt. «Ja, mach das und halte dich zur Verfügung. Am besten bestellst du alle vier auf morgen früh um neun Uhr nach Brugg zur Befragung. Okay?» «Ich versuche mein Bestes, Kurt. Viel Glück in Zeihen.» Eggenberger legte auf und Häusermann nahm das Telefon vom Ohr und senkte den Arm. «Danke», sagte er, aus dem Seitenfenster schauend, griff zu einem Taschentuch in seiner Manteltasche und wischte sich die Schweissperlen von seiner Stirn. «Schlechte Nachrichten?» fragte Joris. «Sehr» sagte Kurt. «Sehr schlecht. Du hattest recht. Es wird wohl weiter gehen. Es ist erst der Anfang.» Sie waren am Ziel. Auf dem Weingut Weizäcker von Bauer Herzog.

 

Anita Erdin rüttelte wie wild an der Türe Ihrer Zelle. Abwechselnd polterte sie mit den Fäusten an das vergitterte Fenster. «Lasst mich raus. Ich bin hier das Opfer. Hilfeeeee!» Sie schrie sich die Kehle aus dem Leib. Doch ihre Rufe blieben unerhört. Der diensthabende Beamte kam ein paar Mal vorbei, schaute durch das verdrahtete Glas, schüttelte den Kopf und drehte wieder auf dem Absatz. An seinem Arbeitsplatz schrieb er seine Kontrollgänge in das Haftprotokoll. Er ging in die Küche und holte aus dem Kühlschrank eine Plastikflasche Mineralwasser. Er brachte sie zur Zelle, öffnete die Klappe in der Mitte der Türe und legte die Flasche in die Durchreiche. Erdin griff sich die Flasche, der Polizist schloss die Luke, ging zurück zu seinem Arbeitsplatz und beschäftigte sich wieder mit seiner Arbeit. In Zelle Nummer neun wurde es ruhig.

 

Auch der Weizäckerhof war adrett aufgeräumt. Das Backsteinhaus stand etwas versetzt zum Wohnhaus. Janssen parkte seinen Pole Star direkt davor. Die beiden Ermittler stiegen aus. Häusermann machte eine wortlose Geste, Joris solle dieses Mal vorangehen. Kurt hielt sich im Hintergrund und beobachtete, während die Klingel bimmelte, das Haus und die Fenster. Er sah, wie im ersten Stock am Fenster direkt über dem Eingang der Vorhang etwas beiseitegeschoben und wieder fallen gelassen wurde. Für einen kurzen Bruchteil sah er das Gesicht einer rothaarigen Frau. Wieder hörte er den Tür Gong. Ein paar Augenblicke später öffnete sich die Türe. Die Rothaarige lugte aus dem Spalt, welcher genau so breit war wie die daran befestigte Panzerkette. «Ja, bitte?», fragte sie die beiden Polizisten. Janssen hielt ihr seinen Dienstausweis vor die Nase. «Kantonspolizei Aargau. Joris Janssen. Mein Kollege Kurt Häusermann. Frau Herzog?» «Ja», antwortete sie scheu. «Wir hätten ein paar Fragen zum Verbleib ihres Mannes.» Die Türe wurde wieder geschlossen. Janssen drehte sich um zu Häusermann und schaute in konsterniert an. Dieser machte eine wartende Handbewegung. Es klackte. Frau Herzog entriegelte die Panzerkette an der Türe und machte auf. «Bitte», flüsterte sie. Die Polizisten traten ein und standen in einem breiten Flur. Der Boden war aus Terracotta Fliesen, an der Garderobe hingen verschiedene Mäntel und Jacken. Es roch nach abgestandenem Zigarettenrauch. «Bitte», flüsterte sie wieder und ging voraus ins Wohnzimmer. Eine Kombination einer schwarzen Ledercouch mit zwei Sesseln und einem Sofa stand lieblos arrangiert um ein Glastischchen. Zeitschriften, ein prall gefüllter Aschenbecher und vier Gläser waren auf dem Tisch verteilt. An den Wänden hingen Urkunden und Auszeichnungen für Max Herzog und seinen Wein. In einem Schaukasten an der gekalkten Wand standen Trophäen und Pokale. Mehrere Zimmerpflanzen, welche die beste Zeit ihres Daseins bereits hinter sich hatten, standen herum. Der hölzerne Esstisch mit der Eckbank könnte von Ottos Warenposten sein, dachte sich Häusermann als er den Raum studierte und bemerkte dabei auch, dass an allen Gläsern auf dem Sofatisch Lippenstift und eines noch zu einem Drittel gefüllt war. Dem Geruch nach Gin. «Gefeiert?», fragte Kurt als sie sich setzten. «So in etwa», entgegnete die Rothaarige und ging an ihnen vorbei in die Küche. Sie öffnete den Kühlschrank und holte eine Flasche Mineralwasser heraus. «Auch?», fragte sie mit rauchiger Stimme. Sie hielt dabei die Flasche in die Höhe und winkte damit. Häusermann lehnte dankend ab, während Janssen ein Glas wünschte. Sie schlurfte aus der offenen Küche mit zwei Gläsern zurück. «Na dann», sagte sie und leerte das Glas in einem Zug. «Nachbrand?», fragte Häusermann sarkastisch. «So in etwa», sagte sie wieder. «Und, haben sie meinen Mann und seine halbstarken Idioten gefunden?» Janssen räusperte sich und wollte die Frage beantworten. Häusermann kam ihm zuvor und schleuderte «er ist tot, wurde ermordet» in den Raum und beobachtete dabei ganz genau die Reaktion von Frau Herzog. Wie er vermutet hatte, war diese identisch wie bei Anita Erdin. Beide Frauen mussten eher eine Erleichterung, ja eine Freude verstecken, als dass die Nachricht bei ihnen Trauer oder Wut ausgelöst hätte. «Wenigstens weiss man es jetzt. Wo? Und die anderen? Sind die auch tot?» Es klang etwas nach Euphorie oder zumindest nach Hoffnung. Janssen war perplex und konnte gar nichts mehr sagen. Er schaute flehend zu Kurt, er möge die Frage beantworten. «Leider alles Gegenstand laufender Ermittlungen.» Kurt beobachtete die Frau, in einen Bademantel gehüllt, genau. Sie fingerte an der, vor ihr liegenden, Zigarettenschachtel und entnahm ihr eine Zigarette. Sie zündete sie sich an und schien genüsslich jeden Zug Rauch in ihren Körper zu ziehen. «Ja dann, haben sie noch Fragen?», sagte sie und stand auf. «Momentan nicht», grätschte Joris dazwischen. «Bitte kommen sie morgen um neun Uhr zu uns nach Brugg. Wir hätten noch ein paar klärende Fragen an sie und es geht auch um die definitive Identifikation Ihres verstorbenen Mannes.», ergänzte Häusermann. Er erhob sich, überreichte ihr seine Visitenkarte, drückte ihr die Hand und sagte dabei: «Meine herzliche Anteilnahme. Auf Wiedersehen Frau Herzog.» Janssen tat ihm gleich, dann verliessen sie das Haus. Wortlos setzten sie sich in den Wagen, während die Weinbäuerin hinter ihnen die Türe schloss. Der Pole Star glitt bereits vom Hof, als Rahel Herzog im Wohnzimmer in Tränen ausbrach und schrie: «Ja, ja, ja. Danke lieber Gott. Danke!» Es waren Tränen der Freude. Sie suchte krampfhaft ihr Mobiltelefon. Sie fand es in ihrer Manteltasche und wählte sofort eine unter Favoriten gespeicherte Nummer. «ANDREA SCHMID» stand auf dem Display. Ein Handy klingelte in Effingen ins Leere, denn dies lief gerade ihre obligate Nachmittagsrunde mit dem Hund durch die Fricktaler Rebberge und vergass ihr Telefon mitzunehmen.

 

Zeitgleich mit der Heimkehr der Weinbäuerin rollte das Elektroauto von Janssen auf das Areal in der Rebsiedlung oberhalb des Dorfes. «Ein Kunde», dachte sie, als das Auto neben ihr zum Stillstand kam. Sie setzte ein fröhliches, aber verkniffenes Lächeln auf und ging auf das Fahrzeug zu. Die beiden Polizisten öffneten zeitgleich die Türen, stiegen aus, als Schmid sie bereits ansprach: «Willkommen im Rebberg. Schön, dass sie bei uns sind.» Sie musste den Hund an der Leine zurückhalten, denn der freute sich über den Besuch und wollte die zwei Männer begrüssen. «Barry, sitz. Warten», befahl sie dem Bernhardiner. Dieser folgte umgehend ihren Befehlen, gefolgt von einem «Platz!». Auch das funktionierte einwandfrei. «Frau Schmid?», fragte Kurt Häusermann lächelnd. «Ja, das bin ich», sagte die Brünette. Er zog seinen Ausweis aus der Tasche seines Parkas, klappte ihn auf und ergänzte sachlich: «Kantonspolizei Aargau, Kriminalhauptkommissar Kurt Häusermann und das da drüben», er deutete mit dem Ausweis auf Joris und fuhr fort: «Das da drüben ist mein Kollege Joris Janssen. Hätten Sie kurz Zeit?» Er senkte seine Hand und registrierte für den Bruchteil einer Sekunde, dass Andrea Schmid seinen Kollegen Janssen anlächelte und versuchte ihm mit ihrer Mimik ein Zeichen zu geben. Häusermann schaute blitzschnell zu Janssen, welcher sein Gesicht und seinen Blick auf den Boden gesenkt hatten. Vielleicht täuschte er sich auch, aber das tat er meistens nie. Er war sich fast sicher, dass die Beiden sich kannten, dies aber zu kaschieren versuchten. «Ja, klar», antwortete Schmid. «Wollen wir in die Weinstube?» «Sehr gerne», gab Joris von sich. Sie befahl dem Hund neben ihr zu laufen, die Ermittler hinterher. Als sie am Wohnhaus vorbeikamen, befestigte die Bäuerin den Hund an der langen Leine vor der Hundehütte und ging weiter Richtung Halle. Rechts von dem grossen Haupttor war eine Türe, sie zückte ihren Schlüsselbund, suchte den passenden Schlüssel und öffnete das Schloss. «Treten sie ein, bitte», versuchte sie freundlich zu bleiben. Die Weinstube war Event-, Degustations- und Verkaufsraum zugleich. Die selbst gekelterten Weine in den schmucken Weinflaschen mit den hübschen Etiketten mit einem geschwungenen «S». Jeder Wein hatte seine eigene Farbe. Pinot Noir, Zweigelt, Merlot, Riesling-Sylvaner, Sauvignon Blanc, Merlot Bianco oder auch ein Süsswein standen, fein säuberlich präsentiert, auf alten Weinfässern. Sie nahmen an einem Tisch Platz, welcher längs aus einem Stück Eiche gesägt wurde. Ein schwerer, massiver Holztisch. Als Hocker dienten Stücke des Stammes auf welchem roten Sitzkissen lagen. «Ein Glas Wein?», fragte Andrea Schmid. «Wir sind im Dienst», lehnte Kurt das Angebot dankend ab. Sie setzte sich am Kopfende dazu. «Mein Kollege Janssen erzählt ihnen gleich um was es geht.» Joris schaute Kurt verdutzt an, überlegte aber nicht lange und informierte die Aargauer Weinproduzentin, dass ihr Mann am Vorabend tot am Linner Wasserfall aufgefunden wurde. Derweil beobachtete Häusermann mit leicht zugekniffenen Augen die Reaktion der Frau. Wie er vermutet hatte, auch hier dasselbe. Anstelle von Überraschung, Verblüffung oder Trauer, sah er Erleichterung und Freude. Es sah für ihn so aus, als ob den Frauen ein grosser Stein vom Herzen fallen würde. Er konnte allerdings, ausser dass die Toten allesamt Aargauer Weinbauern waren, noch keinen weiteren, gemeinsamen Nenner finden. Aber den würde er schon noch herausfinden. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und gleichzeitig nahm er jede Bewegung der Frau auf. Das Gespräch zwischen Janssen und Schmid war tendenziell eher oberflächlich gehalten ohne konkrete Hinweise oder Informationen, welche sie nicht schon wussten. Häusermann schaute auf seine Armbanduhr, zuckte kurz zusammen und ging dazwischen: «Frau Schmid, vielen Dank. Gerne würden wir morgen früh um neun Uhr in der Polizeidienststelle in Brugg noch eine Nachbefragung mit ihnen machen. Ausserdem müssten sie ihren Mann in der Forensik zweifelsfrei identifizieren. Wir erwarten sie dann.» Er stand auf, verabschiedete sich zügig von ihr und ging nach draussen. Bewusst wollte er beobachten, was die Beiden ohne ihn machten. Vorsichtig schlich er sich am Fensterladen vorbei und schielte durch das Fenster. Zum Glück verdeckte ihn eine herabhängende Pflanze. Er ging so nahe er nur konnte an die Scheibe. Die beiden unterhielten sich intensiv gestikulierend, dann verabschiedeten sie sich und umarmten sich dabei. Joris ging zur Türe und Kurt legte einen Kurzsprint zum Auto hin. «Alles gut?», fragte Häusermann scheinheilig. «Ja, ich habe ihr nur nochmals die Notwendigkeit ihres Besuches von morgen bei uns auf der Wache erklärt.» Janssen stieg ein, Kurt öffnete schmunzelnd die Türe. «Aha», sagte er. «Und? Hat sie es verstanden?» Er stieg ein und knallte die Türe zu. «Ich denke schon», bestätigte Joris. «Dann ist ja gut», ergänzte Häusermann sarkastisch. Er grinste innerlich. «Wohin jetzt?», fragte der Fahrer. «Ins Büro bitte.» «Alles klar, dann mal los.» Wortlos glitten sie im Pole Star über den Bözberg. Jeder der beiden Ermittler hing den eigenen Gedanken nach. Als sie auf den Parkplatz vor dem Polizeigebäude fuhren zeigte Kurts Armbanduhr fünf Minuten vor fünf. Er liess Joris Janssen vor der Türe stehen, der etwas faselte, er hätte noch dringendes zu Hause zu erledigen. Häusermann eilte in das untere Stockwerk in Richtung Forensik. Er suchte die Gerichtsmedizinerin. «Stocker», brüllte er durch den Gang. Keine Antwort. «Stocker!» Wieder nichts. Ein Mitarbeiter schob sich mit seinem Hocker auf Rollen in den Flur, schaute in Richtung Kurt und schüttelte den Kopf. «Die ist vor zwanzig Minuten gegangen.» Er hakte mit den Füssen, so dass er wieder zurückrollte. Häusermann drehte auf dem Absatz, lief zum Fahrstuhl und fuhr ins Stockwerk von Walter Eggenberger. Zügig ging er auf das Büro zu, klopfte und öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten die Türe. Es war dunkel und leer. «Scheisse», fluchte Kurt. Wieder machte er kehrt und knallte die Türe hinter sich zu. Ein Beamter kam ihm auf dem Flur entgegen. «Walti?», fragte er ihm vorbeihuschen. «Gegangen», rief ihm der Polizist nach. Häusermann schaute auf die Uhr. Fünf nach fünf. «Verdammt pünktlich mit Feierabend, die Beamten.» Er fuhr hoch in sein Büro, holte die bereitliegenden Akten, schnappte sich den Autoschlüssel, löschte das Licht und begab sich zum Parkplatz. Hustend startete sein Citroën. Er fuhr beim Kraftwerk der AXPO über die Aare und durch den Villnacherer Schachen. Fünfzehn Minuten später war er zuhause in Linn.

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